Es ist ein alarmierendes Signal – und zugleich ein bitteres Spiegelbild der wirtschaftlichen Realität in Deutschland: Laut einer aktuellen, repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Restrukturierungsberatung FTI-Andersch, verliert ein erheblicher Teil der deutschen Industrieunternehmen zunehmend den Glauben an die eigene Zukunft. Was diese Studie jedoch besonders bemerkenswert macht, ist nicht nur der wirtschaftliche Befund – sondern das kommunikative Vakuum, das sie sichtbar macht: Eine massive Unsicherheit über die eigene Rolle, die Märkte, die Zukunft – und vor allem über den Umgang mit Veränderung.
Es ist, als sprächen die Unternehmen zwar über Zahlen, Risiken und Investitionen – aber nicht mehr über das, was sie als soziale, strategische und kulturelle Systeme ausmacht. In einer Zeit, in der Wandel zur Normalität geworden ist, hat der deutsche Mittelstand offenbar seine Erzählung verloren.
Die Studie, für die 169 Industrieunternehmen befragt wurden, ist in ihrer Klarheit erschütternd:
• 51 % erwarten Stagnation oder gar Verschlechterung ihres Geschäfts.
• 94 % der energieintensiven Unternehmen befürchten Abwanderung.
• 60 % der Autozulieferer haben das Werben um chinesische Kunden bereits aufgegeben.
• 51 % der Maschinenbauer rechnen mit dem Verlust ihrer Technologieführerschaft.
Diese Zahlen sind keine Momentaufnahme. Sie sind Ausdruck einer kollektiven Entmutigung – und sie werfen eine zentrale Frage auf: Warum gelingt es diesen Unternehmen nicht, sich neu zu positionieren?
Ein Teil der Antwort liegt in der Kommunikation. In der internen wie externen. In der fehlenden strategischen Narration. In einem Management, das strukturelle Probleme zwar benennt – aber oft nicht übersetzt in kulturelle Veränderung, in mutige Entscheidungen, in echte Transformation.
Seit Jahren wird der deutsche Mittelstand von Politik und Medien für seine Anpassungsfähigkeit, seine Hidden Champions, seine Ingenieurskunst gelobt. Doch zwischen diesen Narrativen und der realen Selbstwahrnehmung der Unternehmen tut sich ein gefährlicher Graben auf.
Was in dieser Studie sichtbar wird, ist keine kurzfristige Schwäche. Es ist ein struktureller Verlust an Selbstwirksamkeit. Man glaubt nicht mehr daran, aus eigener Kraft relevant zu bleiben – und wendet sich gleichzeitig von den Versprechen der Politik ab.
Diese Kommunikationslücke ist kein Zufall. Sie ist Folge eines Managementmodells, das über Jahrzehnte auf Stabilität, Planbarkeit und Optimierung ausgerichtet war. Es fehlen Erzählräume, Feedbackstrukturen und psychologische Sicherheit. In vielen Unternehmen ist man auf Disruption nicht nur operativ schlecht vorbereitet – sondern auch mental.
Die Studie arbeitet drei Sektoren besonders heraus – und liefert dabei nicht nur Daten, sondern Einblicke in tieferliegende Kommunikations- und Strategiedefizite:
a) Autozulieferer: Von der Werkbank in die Rüstung
60 % haben sich bereits von chinesischen OEMs verabschiedet. Das Problem ist nicht nur ein ökonomisches – sondern ein Zeichen mangelnder strategischer Kommunikation. Wer nicht in interkulturellen Netzwerken denkt, wer seine Rolle nur aus historischer Nähe zu deutschen OEMs definiert, der verliert Anschluss.
Erstaunlich ist, dass rund 25 % der Zulieferer eine Zukunft in der Rüstungsindustrie sehen. Das mag rational nachvollziehbar sein – ist aber gesellschaftlich, ethisch und kulturell hochgradig ambivalent. Wer solche Verschiebungen nicht kommuniziert, nicht verhandelt, nicht reflektiert – verliert Vertrauen, intern wie extern.
b) Maschinenbau: Der Mythos „Made in Germany“ wankt
Die Hälfte der Befragten glaubt, dass die Technologieführerschaft Deutschlands bald passé ist. Nur ein Drittel denkt über neue Geschäftsmodelle nach. Ein Fünftel setzt auf Start-up-Beteiligungen. Der Rest: Schweigt.
Die Gefahr liegt in der schleichenden Kognitiven Dissonanz: Man hält am Anspruch fest, Weltmarktführer zu sein – agiert aber operativ oft wie ein rückwärtsgewandtes System. Neue Narrative fehlen. Stattdessen dominieren Kontrolle, Ingenieursperfektion, Produktionsdenken. Wer spricht in diesen Unternehmen über kulturelle Lernkurven, über Fehlerfreundlichkeit, über strategische Offenheit?
c) Energieintensive Branchen: Der stille Rückzug
94 % sehen ihre Branche auf dem Weg ins Ausland. Fast alle haben bereits Effizienzprogramme aufgelegt oder ihre Produktionen angepasst. Doch der entscheidende Punkt ist ein anderer: Die Kommunikation darüber ist reaktiv, defizitfokussiert – nicht strategisch.
Firmen wie Wepa zeigen, dass es auch anders geht: Investitionen in Biomasse, Windkraft, Elektrifizierung. Nicht als Greenwashing, sondern als genuine Strategie. Doch auch hier gilt: Wenn diese Entscheidungen nicht offen kommuniziert, intern verankert und kulturell flankiert werden, bleiben sie Insellösungen.
All das verweist auf ein zentrales Defizit: Die mangelnde Fähigkeit, intern über Wandel zu sprechen.
In unseren eigenen Projekten erleben wir regelmäßig:
• Führungskräfte, die zwar restrukturieren, aber nicht inspirieren.
• Mitarbeiter, die mitziehen sollen, aber nicht mitgenommen werden.
• Eigentümer, die planen, aber nicht erklären.
In der aktuellen Studienlage zur Veränderungskommunikation (vgl. Kotter 2012, Denning 2007, Kühl 2020) zeigt sich immer wieder: Veränderung scheitert nicht an Zielen – sondern an Geschichten. Wenn Unternehmen nicht in der Lage sind, Wandel zu erzählen, zu kontextualisieren, zu verankern, dann verpufft selbst das beste Programm.
Die Krise der Kommunikation ist nicht nur ein PR-Problem. Sie ist ein Führungsversagen. Sie ist ein kulturelles Versäumnis. Aber sie ist auch eine Chance – zur Neuausrichtung:
Diese Studie ist ein Weckruf. Aber kein Abgesang.
Sie zeigt, dass wirtschaftliche Herausforderungen oft dort beginnen, wo das Sprechen endet. Wo Unternehmen aufhören, sich selbst zu erklären. Wo Führungskräfte glauben, sie müssten alles wissen – statt Räume für kollektives Lernen zu schaffen.
Die Zukunft der Industrie hängt nicht nur an Förderprogrammen, Energiepreisen oder Exportzahlen. Sie hängt daran, ob Unternehmen wieder eine Sprache finden. Für sich. Für ihre Mitarbeitenden. Für ihre Kunden. Und für das, was sie eigentlich antreibt.