
Wir ordnen die aktuelle Lage nüchtern ein: Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) meldet für Oktober 2025 1.553 Unternehmensinsolvenzen (Kapital- und Personengesellschaften). Gegenüber September (1.448 Fälle) ist das ein weiterer Anstieg – rechnerisch um gut +7,3 % im Monatsvergleich. Das bestätigt den seit Sommer sichtbaren Aufwärtspfad. 
Wichtig ist uns die Trennung der Messgrößen: Das IWH „nowcastet“ die tatsächlichen Insolvenzen (gerichtlich bekanntgemachte Verfahren) zeitnah und konsistent. Das Statistische Bundesamt berichtet separat die beantragten Regelinsolvenzen (Zeitpunkt: nach erster Gerichtsentscheidung). Auch diese Reihe zeigt für den Herbst steigende Werte; im September lagen die Regelinsolvenzen +10,4 % über Vorjahr – mit dem Hinweis, dass durch Verfahrensstände ein Zeitverzug eingebaut ist. Zusammengenommen zeichnen beide Reihen dasselbe Bild: Die Welle ist nicht gebrochen, sie schiebt weiter. 
Die Oktoberzahl liegt deutlich über dem langjährigen Vorkrisenniveau und schließt an die erhöhten Spätsommer-Monate an. Schon im September meldete das IWH 1.448 Fälle; dass der Oktober darüber liegt, passt zu der saisonalen Herbstbelebung, die das Institut in seinen Vorbemerkungen seit Wochen antizipiert hat. Im Sommer wurde zudem sichtbar, dass größere Pleiten überproportional Jobs gefährden – in der Spitze waren in den größten zehn Prozent der Fälle über 12.000 Arbeitsplätze betroffen. Das ist kein Exzess einzelner Ausreißer, sondern Teil eines breiteren Strukturmusters: Mehr mittlere und große Verfahren erreichen die Gerichte. 
Für unsere Beurteilung nutzen wir das IWH, weil es zeitnah ist und sich auf Unternehmensinsolvenzen im engeren Sinn (Kapital- und Personengesellschaften) konzentriert. Das Bundesamt (Destatis) berichtet „Regelinsolvenzen“ und hat durch den prozessualen Anknüpfungspunkt (erste Gerichtsentscheidung) eine systematische Verzögerung von mehreren Wochen bis Monaten. Wer kurzfristig navigieren will – etwa in Kredit-, Lieferanten- oder M&A-Entscheidungen – braucht beides: die amtliche Tiefe und das IWH-Tempo. Das Bundesfinanzministerium weist in seinen Monatsberichten zudem auf diese Komplementarität hin. 
Wir trennen bewusst Auslöser von Beschleunigern. In den Gesprächen der letzten Monate, in unseren eigenen Verfahren und in öffentlich verfügbaren Meldungen zeigen sich fünf wiederkehrende Konstellationen:
1. Zins- und Refinanzierungsdruck: Auslaufende Zinsbindungen und engere Covenants treffen Geschäftsmodelle mit dünner Marge und hoher Kapitalbindung zuerst – sichtbar in Teilen des Bau-/Immobiliensektors, in energieintensiven Nischen und im Handel mit hoher Mietlast.
2. Nachfrageknick + Bestandsrisiken: Textil, Möbel, Non-Food-Retail und ausrüstungsnahe Industrie spüren den länger anhaltenden Konsum- und Investitionsdämpfer. Gleichzeitig lasten hohe Warenbestände und Working-Capital-Spitzen auf der Liquidität.
3. Kosten- und Energiewellen: Strom/Gas normalisierten sich vom Peak, liegen aber strukturell höher als 2016–2019. Das wirkt als dauerhafte Reibung im OPEX – gerade, wenn Preisanpassungen marktseitig gedeckelt sind.
4. Operative Komplexität: Transformationsstau (Digitalisierung, Produktmix, Standortlasten) und Personalengpässe schlagen in ineffiziente Abläufe um – ausgerechnet dort, wo die Nachfrage schon schwächelt.
5. Sondersituationen: Einzelne Branchen haben exogene Schocks zu verkraften (z. B. Gesundheit/Soziales durch Refinanzierungs- und Vergütungsthemen; Solar/Storage durch Förder- und Preisunsicherheit; Automobilzulieferer durch Mix- und Plattformwechsel). Dass gerade hier überdurchschnittlich viele Fälle auftauchen, deckt sich mit den laufenden Branchenmeldungen der Woche. 
Für mich sind drei Konsequenzen zentral:
Erstens: Re-Rating von Bonitäten wird breiter. Banken, Leasing- und Lieferantenkreditversicherer reagieren nicht nur auf Einzelfälle, sondern auf Sektorsignale. Das verschärft den Zugang zu Liquidität für schwächere Profile – genau in der Phase, in der Puffer gebraucht würden.
Zweitens: Größere Fälle ziehen Kreise. Wenn in den oberen Dezilen der Verfahren fünf- oder sechsstellige Jobzahlen tangiert sind, sind Ketteneffekte entlang der Lieferketten real – von Werkzeugbau über Logistik bis Handel. Das erklärt, warum auch robuste Firmen plötzlich Druck erleben, obwohl sie operativ „okay“ sind. 
Drittens: Der Unterschied zwischen Krise, Sanierung und Insolvenz entscheidet sich früher. In den Zahlen steckt kein Automatismus Richtung Abwicklung – aber die Schwelle, ab der ein IDW S6/S11-fähiger Sanierungsweg realistisch ist, wird zeitlich nach vorn verlegt. Wer zu spät strukturiert, verliert Verhandlungsspielräume (z. B. bei Mieten, Personal, Covenants).
Kurzfristig rechnen wir nicht mit einer Entspannung in der Breite. Die Vorlaufindikatoren (Auftragseingänge in Teilsegmenten der Industrie, Konsumklima, Zinsstruktur) sprechen eher für anhaltenden Druck. Saisonal können November und Dezember durch Sondereffekte schwanken (Stichtage, Jahresenddispositionen). Strukturell bleibt der Mittelstand in mehreren Clustern exponiert: Bau/Immobilien, Non-Food-Retail, Teile der Metall-/Kunststoffverarbeitung, einzelne Solar/Storage-Glieder sowie Gesundheit/Soziales mit Refinanzierungsrisiken. Für Q1 sehe ich zwei gegenläufige Kräfte: Entzerrung durch Kosten- und Effizienzprogramme auf der einen Seite, Dominoeffekte aus größeren Verfahren auf der anderen.
Wir arbeiten entlang dreier Leitfragen, die ich bei Eigentümern, Geschäftsführern und Finanzierungspartnern konsequent adressiere:
Diese Disziplin hilft, die nüchternen Befunde des IWH in umsetzbare Entscheidungen zu übersetzen – ohne Alarmismus, aber entschlossen.
Quellenhinweise
Die Oktoberzahl (1.553) stammt aus dem aktuellen IWH-Insolvenztrend; die Septemberbasis (1.448) aus der IWH-Meldung im Vormonat. Ergänzend verweise ich auf die Erläuterung der Destatis-Reihe zu Regelinsolvenzen (+10,4 % im September YoY, inkl. Zeitverzug) sowie Hinweise zur Komplementarität beider Reihen in Ministeriums- und Pressedarstellungen.