Kommentar: Nachfolge braucht Vielfalt – und Klarheit

Warum es mehr als ein „richtiges Modell“ braucht

Wer in dieser Woche aufmerksam mitgelesen hat, erkennt schnell: Es gibt nicht den einen Weg in der Unternehmensnachfolge. Ob Familienstiftung, Verkauf an ein werteverwandtes Familienunternehmen oder Holding-Struktur mit professioneller Führung – jedes Modell ist ein Spiegel der konkreten familiären, wirtschaftlichen und kulturellen Lage. Und doch lassen sich einige grundsätzliche Gedanken ableiten, die über das Fallbeispiel Meggle/Rücker hinausweisen.

1. Stiftungslösungen sind kein Allheilmittel.
Sie sind weder die ultimative Antwort auf den Fachkräftemangel in der Gesellschafterrolle, noch garantieren sie kulturelle Kontinuität. Eine Stiftung ist ein Vehikel – nicht mehr und nicht weniger. Ob es zur Familie, zum Unternehmen und zur Gesellschaftsform passt, hängt von der Governance-Reife, dem Wertekonsens und dem Willen zur institutionellen Logik ab.

2. Verkauf kann Verantwortung bedeuten.
Die Familie Rücker hat sich gegen eine Stiftung und für einen vollständigen Verkauf entschieden – an ein Familienunternehmen, das selbst in eine Stiftung überführt wurde. Dieser Schritt zeigt: Nicht jeder Loslassprozess ist ein Scheitern. Wer sorgfältig prüft, wer übernimmt – und warum –, handelt verantwortungsvoll. Es braucht nicht immer Eigentum, um Wirkung zu erzielen.

3. Nachfolge ist kein Rechtsformthema – sondern ein Beziehungsthema.
Strukturen folgen Haltungen. Nur wenn Werte, Vertrauen und Klarheit vorhanden sind, entfalten Modelle wie Stiftungen oder Holding-Strukturen ihre Wirkung. Die beste Stiftung nützt nichts, wenn sie aus Angst oder Konfliktvermeidung gegründet wird. Umgekehrt kann ein offener Verkauf mehr Sinn stiften als eine geschlossene Stiftung.

4. Der Mittelstand braucht mehr Mut zur Unterschiedlichkeit.
Was Bosch, Zeiss oder Meggle als Stiftung tun, ist richtig – für sie. Was Unternehmen wie Rücker oder Marie H. als Alternative wählen, ist nicht weniger klug. Entscheidend ist, dass das gewählte Modell reflektiert, verankert und tragfähig ist. Vielfalt ist keine Schwäche – sie ist Ausdruck echter Nachfolgereife.

5. Nachfolge beginnt nicht mit der Struktur, sondern mit der Frage: Was wollen wir erhalten – und was verändern?
Diese Frage beantwortet sich nicht in Paragraphen, sondern im Dialog. Sie braucht Mut, Offenheit, Zeit – und manchmal auch professionelle Begleitung. Wer sie nicht stellt, wird irgendwann von der Realität überrollt. Wer sie ehrlich stellt, hat eine echte Chance, Zukunft zu gestalten.

Ausblick auf KW 42

In der kommenden Woche widmen wir uns einem Thema, das in vielen Nachfolgeprozessen unterschätzt wird: Kommunikation in der Nachfolge.
Wir analysieren:
• Warum Familienunternehmen oft zu spät oder falsch kommunizieren,
• Welche Rolle Erzählungen, Narrative und „Familienmythen“ spielen,
• Wie professionelle Kommunikation Vertrauen schafft – intern wie extern,
• Und wie sich Kommunikation zur echten Governance-Funktion entwickeln kann.

Dazu: ein Gastbeitrag einer Kommunikationsberaterin, ein Fallbeispiel aus der Bauzulieferindustrie – und ein Essay über die Rolle von Schweigen, Sprache und Symbolik.

💬 Ein letzter Gedanke:

Wenn Sie den Unternehmensnachfolge Weekly hilfreich, anregend oder irritierend fanden, freuen wir uns über Kommentare, Hinweise, Weiterleitungen oder einfach ein stilles Nicken. Nur wenn das Thema Nachfolge nicht mehr als private Familiensache, sondern als wirtschaftliches und gesellschaftliches Zukunftsthema verstanden wird, ändert sich etwas.

Danke fürs Dabeisein.
– Ihr Christian Neusser

agentur fenzl