Liebe Leserinnen und Leser,
In diesem Jahr erlebe ich die Adventszeit besonders intensiv. Als Partner der Phalanx GmbH begleite ich seit vielen Jahren Familienunternehmen, oft in Phasen, in denen es nicht um „Optimierung“, sondern ganz nüchtern um Weiterführung oder Stillstand geht. Um Arbeitsplätze, Verantwortung und Zukunft.
Gerade in der Kombination aus Transformation und Transaktion habe ich immer wieder Momente erlebt, die sich im Rückblick fast wie ein kleines Weihnachtswunder anfühlen: wenn eine drohende Insolvenz abgewendet, ein Käufer gefunden und ein Unternehmen in letzter Minute neu ausgerichtet werden kann und damit für viele Familien das Licht anbleibt.
Aus einem solchen Projekt ist diese kleine Adventsgeschichte entstanden: ein fiktiver, aber sehr realitätsnaher Maschinenbauer, ein familiengeführtes Unternehmen mit 170 Mitarbeitenden und ein Dezember, in dem alles auf der Kippe steht. In vier Teilen, an jedem Adventssonntag, erzähle ich, wie aus Krisendruck, harter Arbeit und ehrlichen Gesprächen etwas entstanden ist, das sich für alle Beteiligten wie ein Weihnachtswunder angefühlt hat.
Ich wünsche Ihnen und euch eine besinnliche und zugleich wache Adventszeit, mit Momenten der Ruhe, ehrlichen Gesprächen und der Zuversicht, dass selbst in schwierigen Lagen neue Wege entstehen können.
Ihr Christian Neusser
Und damit beginnt heute Teil 1:

Am ersten Adventssonntag saß ich morgens mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch, die erste Kerze brannte ruhig vor sich hin. Draußen war es noch dunkel, nur ein paar verirrte Schneeflocken klebten an der Fensterscheibe. Für einen Moment war alles ruhig.
Bis mein Handy vibrierte.
Unbekannte Nummer.
Normalerweise hätte ich an einem Adventssonntag gezögert. Diesmal nicht. In den letzten Tagen hatte ich bereits mehrfach gehört, dass „da draußen“ ein traditioneller Maschinenbauer ins Straucheln geraten war. Familiengeführt, tief verwurzelt in seiner Region, 170 Mitarbeitende. Ich hatte geahnt, dass sich dieser Anruf früher oder später melden würde.
„Neusser, guten Morgen.“
Am anderen Ende der Leitung nur kurz Stille, dann eine brüchige Stimme:
„Guten Morgen, hier ist Martin H., geschäftsführender Gesellschafter der H.-Maschinenbau GmbH. Entschuldigen Sie die Störung am Sonntag. Uns läuft die Zeit davon.“
Es war nicht der Inhalt des Satzes, der mich traf, es war der Ton. Man hört, wenn jemand noch kämpft, aber innerlich schon an der Kante steht.
„Sagen Sie mir kurz, was los ist“, antwortete ich.
In den nächsten Minuten entfaltete sich ein Bild, das ich in vielen Variationen kenne – und das mich trotzdem jedes Mal bewegt: Lieferkettenprobleme, gestiegene Zinsen, zwei missglückte Großprojekte, eine Bank, die nervös geworden war, Covenants gerissen, und ein Wirtschaftsprüfer, der die Worte „Insolvenzreife“ und „Fortführungsprognose“ immer häufiger in den Mund nahm.
Und dann der Satz, der hängen blieb:
„Wir sprechen von 170 Menschen. Familien. Weihnachten steht vor der Tür. Ich will nicht derjenige sein, der kurz vor Heiligabend die Lichter ausmacht.“
In diesem Moment, während die Adventskerze still auf dem Tisch flackerte, hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass an diesem Dezember etwas Besonderes passieren könnte, wenn wir es richtig anpacken.
Auf der Fahrt zum Unternehmen am nächsten Tag war es noch dunkel, die Straßen nass, die Welt in dieses typische Dezembergrau getaucht. Ich stellte mir vor, wie es jetzt in der Produktion aussah: das dumpfe Dröhnen der Maschinen, der Geruch von Metall und Öl, aber darüber eine Schicht aus Unsicherheit, die man nicht sehen, aber spüren konnte.
In meinem Kopf hatte ich seit Jahren ein Bild, das mich durch solche Situationen begleitet: eine kleine Truppe von Weihnachtselfen. Nicht mit bunten Mützen und Glöckchen, sondern eher wie leise Strategen im Hintergrund. Sie tauchen genau dann auf, wenn sich alle anderen nur noch auf das Ende konzentrieren und flüstern:
„Vielleicht ist das hier nicht das Ende. Vielleicht ist es der Übergang.“
Ich betrachte sie als Sinnbild für das, was wir als Phalanx tun: Struktur in das Chaos bringen, wenn die Zeit knapp ist. Transformation denken, während andere nur noch Bilanzstichtage sehen. In Transaktionen nicht nur Zahlen verhandeln, sondern Zukunft.
Als ich auf den Hof des Maschinenbauers einbog, sah ich das große, etwas in die Jahre gekommene Firmenschild. Die Fenster der Halle leuchteten noch, aber es war dieses matte Licht, das man kennt, wenn eine Mannschaft zwar noch läuft, aber keiner weiß, wie lange noch.
Im Besprechungsraum wartete bereits die Familie:
Martin H., Anfang sechzig, der Seniorchef, dessen Hände aussahen, als hätten sie ihr halbes Leben in der Fertigung verbracht. Seine Schwester, die im Hintergrund die Finanzen geführt hatte. Und Martins Tochter, Anfang dreißig, Ingenieurin, seit kurzem im Unternehmen, aber noch ohne echte Rolle.
Ihre Augen verrieten alles: Angst, Stolz, Wut und ein leiser Rest Hoffnung.
„Danke, dass Sie so kurzfristig kommen konnten“, begann Martin. „Wir haben die Unterlagen vorbereitet.“
Auf dem Tisch lagen BWA-Ausdrucke, Bankenschreiben, eine Grobplanung für das kommende Jahr und eine fast demonstrativ ordentlich geordnete Mappe mit dem Titel: Szenario Insolvenz.
Ich legte die Hand darauf.
„Die heben wir uns für später auf“, sagte ich. „Wenn wir sie dann noch brauchen.“
Martin verzog das Gesicht zu so etwas wie einem müden Lächeln.
Wir sprachen drei Stunden. Über Zahlen, ja. Aber vor allem über Geschichte, Loyalität, über die Menschen hinter den 170 Köpfen.
„Mein Vater hat nach dem Krieg mit drei Leuten angefangen“, sagte Martin leise. „Wir haben jede Krise überstanden. Aber diesmal fühlt es sich anders an.“
Die Tochter mischte sich ein:
„Ich will übernehmen. Aber ehrlich gesagt: ich weiß nicht, wie. So wie bisher können wir nicht weitermachen. Und ich will auch nicht nur die letzte Generation sein, die den Laden in die Insolvenz führt.“
Da waren sie wieder, meine inneren Weihnachtselfen. In meinem Kopf standen sie im Türrahmen, verschränkten die Arme und sahen mich an, als wollten sie sagen:
„Na los. Es ist Advent. Zeit für ein Wunder, aber eines, das man sich hart erarbeiten muss.“
Ich holte tief Luft.
„Lassen Sie mich das einmal sehr klar sagen“, begann ich. „So wie es jetzt ist, hält das Unternehmen nicht mehr lange. Wir haben es mit einer echten Krisensituation zu tun. Aber: Es gibt Substanz. Es gibt Kunden, die an Sie glauben. Es gibt eine Produktlinie mit Zukunft. Und es gibt 170 Menschen, die jeden Morgen aufstehen, weil sie überzeugt sind, dass hier etwas Sinnvolles entsteht.“
Ich machte eine kurze Pause.
„Wenn wir ein Weihnachtswunder wollen, dann braucht es zwei Dinge: Geschwindigkeit und Mut. Geschwindigkeit, weil uns die Liquidität davonläuft. Mut, weil wir Transformation und Transaktion gleichzeitig denken müssen. Eine Sanierung allein reicht nicht. Ein Verkauf allein auch nicht. Wir brauchen ein Setup, das beides verbindet.“
Die Tochter nickte langsam. Martins Blick wanderte zum Fenster, hinaus auf den Parkplatz, auf dem die Autos der Mitarbeitenden standen.
„Wie viel Zeit haben wir?“, fragte er.
Ich antwortete nicht sofort. Innerlich war die Rechnung schnell gemacht. Formal war die Situation kritisch, informell hatte die Bank noch nicht aufgegeben, stand aber kurz davor.
Vier Wochen. Vielleicht fünf. Mehr nicht.
„Wenn wir es ernst meinen“, sagte ich schließlich, „müssen wir innerhalb von vier Wochen so weit sein, dass wir einen Investor an Bord haben und ein klares Bild davon haben, wie wir das Unternehmen in Teilen sanieren.“ Das ist ambitioniert. Aber nicht unmöglich."
Martin schüttelte den Kopf. „Vier Wochen? Vor Weihnachten?“
„Ja“, antwortete ich. „Oder wir diskutieren im Januar mit einem Insolvenzverwalter.“
Im Raum wurde es sehr still. Man hörte das leise Surren der Heizung, irgendwo in der Halle das Klacken einer Maschine. In dieser Stille stellte ich mir vor, wie meine unsichtbaren Elfen eifrig Notizen machten: Stakeholder, Zeitachse, Optionen, Risiken.
Transformation ist manchmal nichts anderes, als in einem überfüllten Dezemberkalender Platz für das Wesentliche zu schaffen.
Am Ende des Gesprächs bat mich Martin, noch durch die Produktion zu gehen. Es war ein Schichtwechsel. Menschen im Blaumann, mit Sicherheitsbrillen, Hände voller Schmutz und Know-how. Einige nickten mir kurz zu, andere taten so, als hätten sie mich nicht gesehen. Aber ihre Blicke huschten doch immer wieder in unsere Richtung.
„Wissen die Mitarbeitenden Bescheid?“, fragte ich leise.
„Nicht alles“, sagte Martin. „Nur, dass es eng ist. Ich wollte die Panik nicht noch vergrößern.“
Ich sagte nichts. Ich kenne diese Zerrissenheit. Zwischen Transparenz und dem Wunsch, die Mannschaft zu schützen. Zwischen Ehrlichkeit und Hoffnung.
Eine Mitarbeiterin, vielleicht Mitte fünfzig, hielt kurz inne, als sie an uns vorbeiging.
„Chef“, sagte sie, „ich habe gehört, dass jetzt jemand von außen kommt, der helfen soll.“ Ihr Blick ging zu mir. „Wenn Sie der sind, sorgen Sie bitte dafür, dass wir nach Weihnachten noch einen Arbeitsplatz haben. Mehr will ich gar nicht.“
Ich nickte. In solchen Momenten klingen alle Modelle, alle Tabellen, alle Deals plötzlich sehr klein.
Als ich wenig später wieder im Auto saß, war es mittlerweile später am Nachmittag. Die Straßenlaternen gingen an, der Himmel war das übliche Adventsgrau. In meinem Kopf sortierte ich die nächsten Schritte: Datenraum aufsetzen, Liquiditätsstatus aktualisieren, kurzfristige Maßnahmen identifizieren, potenzielle Investoren anrufen, die bereit sind, in einer Sondersituation schnell zu handeln. Parallel ein schlankes, aber belastbares Transformationskonzept, das zeigt, wie aus der Krise ein tragfähiges Geschäftsmodell werden kann.
Und irgendwo zwischen all diesen To-dos sah ich sie wieder, meine inneren Weihnachtselfen. Sie hatten inzwischen angefangen, kleine Kerzen auf einem groben Zeitstrahl zu verteilen:
Erste Woche: Analyse und Sofortmaßnahmen.
Zweite Woche: Investorengespräche.
Dritte Woche: Verhandlungen, Term Sheet, erste Eckpunkte der Sanierung.
Vierte Woche: Signing. Ein Weihnachtswunder? Vielleicht.
Als ich auf die Straße einbog, fiel mir auf, dass heute immer noch der erste Advent war. Die erste Kerze des Unternehmens war nicht erloschen, aber sie flackerte bedenklich.
Ich wusste in diesem Moment noch nicht, wie hart die nächsten Wochen wirklich werden würden. Wie viele Gespräche wir führen, wie viele Nachtschichten wir einlegen, wie oft wir zwischen Hoffnung und Frustration springen würden.
Aber ich wusste eines:
Wenn es so etwas wie ein Weihnachtswunder in der Welt der Transformation und Transaktionen gibt, dann beginnt es selten mit Jubel. Es beginnt mit einem Anruf am frühen Adventssonntag, einem brüchigen „Uns läuft die Zeit davon“ und der Entscheidung, trotzdem loszufahren.
Die erste Kerze brannte.
Jetzt mussten wir dafür sorgen, dass sie nicht die Letzte blieb.
Mehr dann am nächsten Sonntag...